Fahrradkurier werden – der umfassende Leitfaden

Man sieht sie jeden Tag in der Stadt. Auf ihren Elektro-, Retro-, Gravel- oder Lastenrädern. In grellen Farben gekleidet: orange, grün oder blau, manchmal inkognito. Auf dem Rücken ein schwerer Rucksack. 

Bei jedem Wetter, von morgens bis abends, sind sie unterwegs. Auf der Suche nach dem kürzesten Weg, um Menschen zu beliefern, die es eilig haben.

In den letzten Jahren sind es immer mehr geworden. Ich bin einer von ihnen. Ich bin ein Kurier. Fahrradkurier – so nenne ich mich. So verdiene ich mein Geld. 

Ich habe diesen Leitfaden auf der Grundlage meiner Erfahrungen als Büroangestellter, der zum Kurier geworden ist, zusammengestellt.

Bist du Student, Sonntagssportler, Freizeitradler oder einfach nur neugierig, was hinter jeder Lieferung steckt? 

Ich lade dich ein, hinter die Kulissen des Kurierlebens zu blicken.

Ab in den Sattel – Fahrradkurier werden

Aber bevor ich nun den ganzen Tag in die Pedale trete, muss ich dir gestehen, dass es eine Weile gedauert hat, bis ich mich auf den Weg gemacht habe.

Fahrradkurier – das Berufsbild

Sommer 2018: Ich arbeite als Projektmanager Marketing bei einem Stuttgarter IT-Unternehmen. Ich genieße den Komfort, die Sicherheit und die finanziellen Vorteile, die so ein Arbeitsplatz mit sich bringt.

Mein Job ist auf dem Papier interessant und gibt mir die Möglichkeit, zu reisen, mein Englisch zu verbessern und ein neues Gebiet zu entdecken.

Während eines Urlaubs in Oslo fällt mir zum ersten Mal ein Fahrradkurier auf. Gekleidet wie ein professioneller Radrennfahrer trotzt er dem Regen und fährt auf seinem weißen Fahrrad mühelos einen Berg hinauf. Ich beobachte ihn aus der Ferne, fünf Minuten oder weniger.

Zurück im Büro kämpfe ich gegen die Monotonie an meinem Bildschirm an und beginne, zu recherchieren.

Ist Fahrradkurier ein richtiger Beruf? Wie viel verdient man? Kann man davon leben? Wie fange ich an? Ich habe viele Fragen.

Der Gedanke, Kurier zu werden, wird immer größer, ich muss es einfach ausprobieren.

Essen liefern, um anzufangen

Im November 2018 bin ich wieder zuhause. Da ich heute Abend keine Lust zum Kochen habe, lasse ich mir eine Pizza liefern.

Von meinem Sofa aus verfolge ich auf meinem Smartphone den Weg des Lieferdienstes vom Restaurant bis zu mir nach Hause. Es klingelt und ich öffne die Tür. Ein junger Mann, wahrscheinlich ein Student, steht vor meiner Tür und übergibt mir meine zwei Pizzen.

Genug der Geduld. Während ich an diesem Abend meine Pizza esse, bewerbe ich mich online als Essenslieferant.

Ausgewählt habe ich die Plattform Foodora. Auf deren Website lese ich, dass man einen kleinen Vertrag abschließen kann. Mindestens fünf Stunden pro Woche neben meinem Job, das ist genau das Richtige für mich.

Ich bin erst vor ein paar Monaten nach Stuttgart gezogen und kenne mich hier kaum aus. Der Minijob soll mir die Möglichkeit geben, mich zu bewegen und die Stadt besser kennenzulernen.

Eine immer beliebtere Route – Fahrradkurier werden

Was ich nicht wusste, bevor ich anfing, zu liefern, war diese unglaubliche Gemeinschaft. Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen, die ich immer wieder treffe.

Radkuriere – Der Jargon

Jeden ersten Freitag im Monat ist der Feuerseeplatz unser Treffpunkt.

Bei der Critical Mass feiern wir gemeinsam das Fahrrad als Verkehrsmittel und fordern unseren Platz im Straßenverkehr ein.

Mit ein paar Bier im Rucksack und umgeben von tausenden von Fahrrädern demonstrieren wir fröhlich mit Klingeln und Soundboxen, aus denen jeder die Musik hört, die er hören möchte.

Jede Begegnung bereichert mich. Ich entdecke eine neue Welt, ich lerne die Codes der Branche kennen, ich lerne einen spezifischen Jargon.

Mit dem Geld, das ich nach und nach verdiene, kann ich mich ausstatten. Kleidung, mit der ich jedem Wetter trotzen kann. Ich verkaufe mein zu großes Rennrad und kaufe mir ein Gravelbike in meiner Größe.

Ohne es zu merken, bereite ich mich auf die nächste Etappe vor.

Fahrradkurier – Warum mitmachen?

April 2019:  Stetig verbessert sich meine Kondition. Ich bin meinen Schichten nicht mehr so ausgeliefert wie zu Beginn. Stuttgart ist eine hügelige Stadt, das macht die Zustellung mit dem Fahrrad etwas anstrengender. Aber mein Körper gewöhnt sich daran.

Ich mache immer längere Schichten und liefere durchschnittlich 8 Stunden pro Woche aus. Manchmal fahre ich jetzt auch mit dem Rad zur Arbeit. 10 km mit 200 Höhenmetern zum Start in den Tag.

Das Selbstvertrauen wächst und auf Einladung einer Freundin aus Karlsruhe fahre ich zum ersten Mal 77 km mit dem Rad! Mein neuer Rekord.

Diese Arbeit, auch wenn es nur ein paar Stunden sind, tut mir gut. Wäre das auch so, wenn ich Vollzeit arbeiten würde?

Noch im selben Jahr bitte ich meinen Chef um ein Gespräch und erkläre ihm meinen Wunsch, halbtags zu arbeiten, um mich meiner neuen Berufung widmen zu können.

Einige Monate später habe ich noch immer keine Rückmeldung meines Chefs zu meinem Antrag auf eine Halbtagsstelle. Aus all diesen Gründen reiche ich meine Kündigung ein.

Berufliche Entwicklung auf zwei Rädern – Fahrradkurier werden

Mein letzter Monat im Büro hat begonnen. In ein paar Tagen bin ich frei wie ein Kurier.

Selbständig als Fahrradkurier

Die letzten Wochen im Büro waren chaotisch. Wegen eines Virus aus China mussten einige große Messen abgesagt werden.

Außerdem wurde mein Lieferdienst Foodora von der niederländischen Takeaway-Gruppe aufgekauft. 

Es ist schwer, diese Ereignisse zu ignorieren. Aber heute ist mein letzter Tag im Büro. Ein letzter Gruß an die Kollegen. Ich schließe die Tür mit dem Gefühl, dass für mich ein neues Leben beginnt.

Doch die Pandemie macht mir einen Strich durch die Rechnung. Statt zu arbeiten, bleibe ich zu Hause. Ich nutze die freie Zeit, um diese Website zu erstellen.

Auf Bitten der Infizierten bekomme ich die Möglichkeit, die Menschen in meiner Nachbarschaft mit Einkäufen und Medikamenten zu versorgen. Ich werde selbstständiger Fahrradkurier und entdecke einen neuen Feind: die deutschen Behörden!

Nach einem Monat, in dem ich eingesperrt war und arbeiten durfte, mache ich mich Ende Mai auf den Weg zum Bodensee. 100 km mit dem Fahrrad an einem Tag, ich habe es geschafft!

Lokale Fahrradkuriere – Brief- und Paketzustellung

Am 1. Mai 2022 nehme ich an der Auszählung der Stimmen für die Wahl der neuen Betriebsratsmitglieder teil. Ich selbst war fast zwei Jahre lang Mitglied und habe den Kampf der Zustellerinnen und Zusteller für bessere Arbeitsbedingungen täglich verfolgt.

Auf der Straße bin ich jetzt mit Fahrradschuhen, einer Radfahrermütze und meinem personalisierten Fahrrad ausgestattet, um mehrere Stunden am Tag bequem fahren zu können.

Ein anderer Kurier mit einer Umhängetasche voller Post hält auf meiner Höhe an. Er erzählt mir, dass seine Firma, ein Fahrradkurierdienst, für den Winter Verstärkung sucht. Er meint, ich hätte das richtige Profil.

Zwei Wochen später nehme ich die neue Herausforderung an und lerne das Leben eines Fahrradkuriers kennen. Ich stehe früh auf und nehme komplizierte Lieferungen entgegen, die Ausdauer, Köpfchen und sehr gute Ortskenntnisse erfordern.

Ich lerne einen überschaubaren Betrieb mit 15 Kurieren kennen. Im Büro, das eher an eine Fahrradgarage erinnert, kann man sich ausruhen oder in ruhigen Momenten einen Kaffee trinken.

An den Wänden im Flur hängen eine Reihe von Porträts, die mich an die Gefahren des Berufs erinnern.

Werde Fahrradkurier!

Dezember 2023: Ich bekomme eine E-Mail von meinem Arbeitgeber, der mir zu 5 Jahren Zusammenarbeit gratuliert. Nächsten Monat bekomme ich mein Jubiläumsgeld.

5 Jahre! So lange war ich noch nie in einem Unternehmen. Das hat mich zum Schreiben inspiriert, um auf diese 5 Jahre zurückzublicken, in denen ich mich vom Hobby-Lebensmittellieferanten zum professionellen Fahrradkurier entwickelt habe.

Mit durchschnittlich 8000 km Radfahren pro Jahr und über 300 Auslieferungen pro Monat hatte ich auch die Möglichkeit, im Sommer als Radreiseleiter zu arbeiten.

Dank meiner wiedergewonnenen Fitness reiste ich von Stuttgart aus durch Deutschland, Belgien, die Schweiz, Österreich und Italien.

All das zeigt, dass man sich in jedem Beruf weiterentwickeln kann. Die Flexibilität des Seins ermöglicht es, nebenbei Projekte zu haben.

Schließlich besteht die größte Gefahr darin, zu bereuen, es nicht getan zu haben.

Bist du bereit für das Rennen? Den Beruf zu wechseln und Fahrradkurier zu werden?

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